Pranayama vs. Breathwork: Der Atem als Schlüssel zu mehr Gesundheit
- 2. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Stell dir vor, du trägst ein kraftvolles, jederzeit verfügbares Werkzeug für mehr Gelassenheit, Energie und Gesundheit in dir. Du benutzt es jeden Tag, doch die wenigsten wissen, wie man es bewusst einsetzt. Die Rede ist von deinem Atem.
Immer öfter hören wir die Begriffe Pranayama und Breathwork. Doch was ist der Unterschied? Sind sie nicht dasselbe? In diesem Artikel klären wir das auf, tauchen ein in die wichtigsten Techniken und schauen uns an, was die Wissenschaft dazu sagt.
Der grundlegende Unterschied: Philosophie vs. Pragmatismus
Einfach ausgedrückt: Pranayama ist eine spezifische Form des Breathwork, die in einem philosophischen Kontext wurzelt.
Pranayama: Die yogische Kunst der Atemlenkung
Das Wort „Pranayama“ kommt aus dem Sanskrit und setzt sich aus zwei Teilen zusammen:
· Prana: Die Lebensenergie, die alles durchdringt und am Leben erhält.
· Yama: Kontrolle, Lenkung oder auch Disziplin.
Pranayama ist also die bewusste Steuerung der Lebensenergie durch den Atem. Es ist das vierte Glied des achtgliedrigen Pfades des Yoga nach Patanjali und damit eine jahrtausendealte, spirituell verwurzelte Praxis. Das Ziel von Pranayama geht über körperliche Gesundheit hinaus: Es soll den Geist beruhigen, die Sinne zurücksziehen (Pratyahara) und uns auf die Meditation vorbereiten. Der ultimative Zweck von Pranayama ist Samadi. Samadhi ist ein Zustand tiefster Meditation und innerer Versenkung, in dem das Bewusstsein vollkommen still wird und sich mit dem Objekt der Meditation oder dem Absoluten (dem Selbst, Brahman) vereint. Es bedeutet auch Selbsterkenntnis.
Kurz gesagt: Samadhi ist die völlige Verschmelzung von Geist, Bewusstsein und Einheit — der höchste Zustand der Meditation.
Merkmale von Pranayama:
· Tief in der Yoga-Philosophie verwurzelt.
· Oft langsam, kontrolliert und rhythmisch.
· Betonung auf den vier Phasen: Einatmen (Puraka), Atemanhalten mit voller Lunge (Kumbhaka), Ausatmen (Rechaka), Atemanhalten mit leerer Lunge (Sunyaka).
· Verwendung von Bandhas. Bandhas sind sogenannte Schlösser die helfen die Lebensernergie im Körper zu lenken.
Breathwork (Atemarbeit): Der moderne, therapeutische Ansatz
Breathwork ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl moderner Atemtechniken, die oft im Westen entwickelt wurden. Während einige Methoden von Pranayama inspiriert sind, haben andere ganz eigene Wurzeln. Breathwork ist tendenziell pragmatischer und therapeutischer ausgerichtet. Der Fokus liegt oft auf der direkten psychologischen oder physiologischen
Wirkung.
Merkmale von Breathwork:
· Moderne, oft therapeutische Anwendung.
· Kann sowohl aktivierend und intensiv (z.B. holotropes Atmen) als auch beruhigend sein.
· Keine Betonung auf spirituelle Philosophie.
· Wird oft zur Traumaverarbeitung, Stressreduktion und zur Erforschung des Unterbewusstseins eingesetzt.
Zusammenfassend: Alle Pranayama-Techniken sind Breathwork, aber nicht alle Breathwork-Techniken sind Pranayama.
Die wichtigsten Techniken und ihre Wirkung auf die Gesundheit
Egal ob traditionell oder modern – die Wirkungen auf unsere Gesundheit sind beeindruckend. Hier sind einige der bekanntesten Techniken:
1. Die tiefe Bauchatmung (Diaphragmatische Atmung)
· Was es ist: Die grundlegendste und wichtigste Atemübung. Du atmest tief in den Bauch ein, sodass sich das Zwerchfell nach unten senkt.
· Wirkung: Aktiviert den Parasympathikus („Entspannungsnerv“), senkt sofort den Blutdruck und die Herzfrequenz, reduziert Stresshormone wie Cortisol. Sie ist die Basis für fast alle anderen Techniken.
2. Wechselatmung (Nadi Shodhana)
· Was es ist: Eine Pranayama-Technik, bei der man abwechselnd durch das linke und rechte Nasenloch ein- und ausatmet.
· Wirkung: Soll die Energiekanäle (Nadis) reinigen und die linke und rechte Gehirnhälfte ausbalancieren. Fördert mentale Klarheit, Konzentration und eine tiefe innere Ruhe. Perfekt vor Prüfungen oder wichtigen Meetings.
3. Siegreicher Atem (Ujjayi)
· Was es ist: Ein gleichmäßiger, leise rauschender Atem, der durch eine leichte Verengung der Stimmritze im Hals erzeugt wird.
· Wirkung: Erwärmt den Körper, beruhigt das Nervensystem, verbessert die Sauerstoffaufnahme und hilft, den Geist im gegenwärtigen Moment zu halten (oft im Ashtanga und Vinyasa Yoga verwendet, ist aber genau genommen dann die Ozean Atmung).
4. Wim Hof Atemmethode
· Was es ist: Eine moderne Breathwork-Technik, die aus mehreren Runden kraftvoller, tiefer Atemzüge gefolgt von Atempausen besteht.
· Wirkung: Extrem aktivierend. Sie kann das autonome Nervensystem beeinflussen, die Ausschüttung von Adrenalin erhöhen, das Immunsystem stärken und Entzündungen reduzieren.
Wissenschaftlich nachgewiesene Fakten: Was die Forschung sagt
Die positive Wirkung des bewussten Atmens ist kein Esoterik-Mythos mehr, sondern wird durch zahlreiche Studien belegt:
1. Reduktion von Stress und Angst: Eine im Journal of Clinical Psychiatry veröffentlichte Studie zeigte, dass eine Form des yogischen Atmens (Sudarshan Kriya) die Symptome von PTSD und Depressionen signifikant reduzieren kann – ähnlich effektiv wie eine Antidepressiva-Therapie.
2. Stärkung des Immunsystems: Der „Iceman“ Wim Hof wurde wissenschaftlich begleitet. Forscher des Radboud University Medical Center fanden heraus, dass seine Methode (Kombination aus Atmung und Kälteexposition) es Probanden ermöglichte, bewusst ihre autonome Immunantwort zu aktivieren und eine Entzündungsreaktion zu unterdrücken.
3. Verbesserte Lungenfunktion: Eine Studie, die in der International Journal of Yoga veröffentlicht wurde, belegte, dass regelmäßiges Pranayama-Training die Lungenkapazität, die Atemkontrolle und die Effizienz des Gasaustauschs verbessert.
4. Senkung des Blutdrucks: Die tiefe Bauchatmung aktiviert den Vagusnerv, der eine zentrale Rolle im Parasympathikus spielt. Dies führt zu einer Entspannung der Blutgefäße und einer Senkung des Blutdrucks, was in zahlreichen kardiologischen Studien bestätigt wurde.
5. Verbesserte Gehirnfunktion: Forschungen mit EEG haben gezeigt, dass Techniken wie die Wechselatmung (Nadi Shodhana) die Gehirnwellenmuster verändern und die Kommunikation zwischen den Gehirnhälften fördern können, was sich positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit und emotionale Regulation auswirkt.
Dein erster Schritt
Du musst kein Yogimeister sein, um von den Vorteilen zu profitieren. Beginne einfach:
1. Nimm dir 2-3 Minuten Zeit.
2. Setze oder lege dich bequem hin.
3. Lege eine Hand auf deinen Bauch.
4. Atme langsam durch die Nase ein und spüre, wie sich dein Bauch hebt.
5. Atme noch langsamer durch die Nase aus und spüre, wie sich dein Bauch senkt.
Wiederhole dies. Schon diese kleine Pause kann deinen Zustand verändern.
Der Atem ist die Brücke zwischen Körper und Geist. Egal, ob du dich für den philosophischen Weg des Pranayama oder den pragmatischen Ansatz des Breathworks entscheidest – du hast immer den Schlüssel zu mehr Balance und Gesundheit in dir. Probiere es aus und finde deinen Atem.



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